Gesitliche Anmerkungen zu einer entschleunigten Gesellschaft
Zum traditionellen Jahresempfang zu Beginn des neuen Kirchenjahres hatte der Kirchenkreis Verden in den Dom eingeladen. Superintendent Fulko Steinhausen und Sonja Bohl-Dencker, die Vorsitzende des Kirchenkreistages, konnten zahlreiche haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitende aus den Kirchengemeinden und den Einrichtungen, sowie Gäste aus Politik und Wirtschaft im Landkreis begrüßen. Das Verdener Vokalensemble unter der Leitung von Carsten Krüger stimmte musikalisch in den Advent ein.
In der Landeskirche Hannovers war das Jahr 2019 zum „Jahr der Freiräume“ erklärt worden. Verbunden ist damit die Idee, bewusst alle Gewohnheiten zu überprüfen und sich freie Zeiten zu nehmen für eine neue geistliche Ausrichtung in der Arbeit. In seiner Begrüßung wies Superintendent Steinhausen darauf hin, dass mit dem Festredner der „Erfinder“ dieses Freiraum-Jahres nach Verden gekommen war – Landesbischof Ralf Meister.
In seinem Vortrag beschäftigte sich der Redner mit dem Phänomen der Zeit, die mit der Erfindung der mechanischen Uhr überhaupt erst ins Bewusstsein gekommen ist. Seither, so Meister, beschleunigte sich das Leben der Menschen von Jahrhundert zu Jahrhundert und inzwischen bereits von Jahrzehnt zu Jahrzehnt. Dabei gibt es den Unterschied zwischen der gemessenen Zeit und der gefühlten Zeit, die sich zum Beispiel beim Warten nahezu ewig hinzuziehen scheint.
Als Gegenüber zu den rastlosen Zeiten stellte er eine Erfahrung von „Nächten ohne Stunde und ohne Ort“, die er während einer Schiffsreise nach Spitzbergen erlebt hatte, wo sich durch das Unterwegssein auf dem offenen Meer und bei taghellen Nächten ein Gefühl von Zeitlosigkeit und damit auch von Freiheit einstellt.
Bischof Meister plädierte dafür, den Wechsel von Tun und Nichtstun ernst zu nehmen und einen geheiligten Tag in der Woche einzuhalten, wie es mit dem Shabbat vor 3000 Jahren begonnen wurde. Dazu gehöre auch, als Gesellschaft am freien Sonntag als einer Zeit für besondere Erlebnisse, für die Gemeinschaft und auch für die Begegnung mit Gott weiterhin festzuhalten.
„Im Jahr der Freiräume konnte man feststellen was sich verändert, wenn man den Umgang mit der Zeit verändert,“ berichtete Meister von seinen Erfahrungen und Beobachtungen in diesem Jahr. „Und dabei haben manche die Erfahrung gemacht, dass das Gebot eines „Du musst jetzt“ viel einfacher einzuhalten ist als etwas sein zu lassen, da kam dann zum Teil erst mal Hilfslosigkeit auf, wie es geht, etwas zu lassen.“
Das Resümee des Bischofs: „Der Beschleunigung entkommen wir nicht durch Optimierung sondern durch Sein-lassen. Und auch die Begegnung mit Gott läuft nicht mit der Eieruhr sondern braucht genauso wie die Liebe Zeit zum Reifen und Geduld. Spirituelle Erfahrungen können nicht beschleunigt werden und schon Martin Luther wusste: Je mehr ich arbeite, desto mehr muss ich beten.“
Nach diesem Vortrag gab es ausreichend Gesprächsstoff für die Begegnungen in den Seitenschiffen der Kirche. Nach dem gemeinsam gesungenen „Macht hoch die Tür“ ging es dann wieder hinaus in die Dezembernacht.
Foto: Sonja Bohl-Dencker, Landesbischof Ralf Meister, Superintendent Fulko Steinhausen